Und jedes Mal kommt es aufs Neue auf die eine Nanosekunde an, in der ich die Wahl habe: Vorwürfe zu erheben; zu versuchen, die Oberhand zu gewinnen; den anderen abzuweisen; Rache zu nehmen; mich zu verschließen und abzuschotten; oder aber tief durchzuatmen und mich auf die Emotionen des geliebten Menschen einzustimmen, etwas zu riskieren, die Hand auszustrecken, mich zu offenbaren und den anderen festzuhalten.
– Sue Johnson
Es ist keine einfache Aufgabe, die Rolle anzuerkennen, die man in seinem eigenen Leben spielt.
– Laurence Heller
Eine der Strategien, die Kinder nutzen, um Bindungsverlust vorzubeugen, besteht darin, ihre eigene Selbstwirksamkeit zu blockieren. In der Sprache der Schematherapie wird dies als Blockierung der Fähigkeit, „Ja zu sagen“ und der Fähigkeit, „Nein zu sagen“ bezeichnet. Laurence Heller und Brad J. Kammer schreiben in ihrem Buch Praxisbuch Entwicklungstrauma heilen:
Selbst wenn die damaligen Bezugspersonen schon längst nicht mehr leben, haben die Betroffenen noch immer das Gefühl, in dieser Zwickmühle zu stecken: Sie müssen sich vor dem Verlust der Bindungsbeziehung schützen, was aber zu Lasten ihres authentischen Selbst geht. Diese tief sitzende Angst vor Bindungsverlust bleibt bis weit ins Erwachsenenalter bestehen und nährt diverse Strategien, die eingesetzt werden, um sich vor etwas zu schützen, das unbewusst als Verlassenwerden erlebt wird. Menschen haben dann Angst vor dem, was sie am meisten wollen, und setzen Selbstsabotage-Strategien ein, um Ablösung/Individuation, das Erleben der eigenen Selbstwirksamkeit, Selbstaktivierung und die Erfahrung von Liebe zu blockieren.
Ein Mangel an Selbstwirksamkeit kann den therapeutischen Prozess erheblich erschweren. Selbstwirksamkeit bezieht sich auf das Vertrauen einer Person in ihre Fähigkeit, Veränderungen in ihrem Leben zu bewirken und Herausforderungen aktiv anzugehen. Wenn Klient*innen dieses Vertrauen nicht haben, fühlen sie sich oft hilflos oder ausgeliefert, was dazu führen kann, dass sie sich passiv verhalten und wenig Motivation zur aktiven Mitarbeit zeigen.
Ohne ein Gefühl der Selbstwirksamkeit neigen Klient*innen dazu, die Verantwortung für ihre eigenen Gedanken, Gefühle und Handlungen abzugeben. Der Raum zwischen Auslöser und Verhalten wird dann nur von reaktiven Gefühlen und Gedanken gefüllt, die aus scham- oder stolzbasierter Identifikation hervorgehen. Dies zeigt sich in Aussagen wie „Das bringt doch sowieso nichts“ oder „Ich kann daran nichts ändern“. Diese Haltung blockiert die Arbeit an den eigenen Mustern und verhindert, dass wichtige Einsichten in konkretes Handeln umgesetzt werden.
Zwei bindungsbasierte, erfahrungsorientierte Ansätze: EFT & NARM
Sowohl die bindungsbasierte Emotionsfokussierte Therapie (EFT) als auch das NeuroAffective Relational Model (NARM) unterstützen Klient*innen dabei, ein stärkeres Gefühl der Selbstwirksamkeit zu entwickeln und Raum zwischen Auslösern und Verhalten für ein erwachsenes Bewusstsein zu schaffen. Beide Ansätze nutzen positive Verstärkung:
- In EFT geschieht dies in Move 5, beim Integrieren und Validieren.
- In NARM wird die vierte Säule, das Spiegeln psychobiologischer Veränderungen, genutzt.
Darüber hinaus verwendet NARM, mit seinem Fokus auf die Heilung von Entwicklungstrauma, zwei weitere Interventionen zur Stärkung der Selbstwirksamkeit:
- Die erste Säule – Abklärung der Vereinbarung (contracting):
Die Klient*in wird eingeladen, das Ziel der Sitzung zu formulieren und der daraus folgenden therapeutischen Arbeit aktiv zuzustimmen. Die Einholung expliziter Zustimmung (consent) ist zentral in NARM und bietet eine direkte Möglichkeit, das Recht der Klient*in auf freie Wahl zu respektieren. Dies wirkt den Dynamiken von Entwicklungstrauma entgegen, bei dem die Grenzen und die Autonomie der Klient*in häufig verletzt wurden. Zustimmung in NARM ist nicht nur eine formale Prozedur; sie ist ein wesentlicher Bestandteil des therapeutischen Prozesses und stärkt das Gefühl von Selbstwirksamkeit, Autonomie und Selbstvertrauen. - Die dritte Säule – Verstärken der Selbstwirksamkeit (agency):
In dieser Phase unterstützt NARM die Klient*in dabei, sich darüber klar zu werden, welche Beziehung sie heute zu sich selbst und zu anderen hat. Hierbei kommen verschiedene Interventionen zum Einsatz:- Schaffen von Abstand zwischen Selbst und Selbstzuschreibung, indem „Ich bin XYZ“ neu gerahmt wird in „Sie fühlen sich XYZ“.
- Betonung des aktiven Handelns der Klient*in, z. B.: „Sie hätten viele andere Dinge tun können, als zu dieser Sitzung zu kommen.“
- Hervorheben des Unterschieds zwischen reaktivem Verhalten und den eigentlichen Zielen der Klient*in.
- Umformulierung von passiven Selbstzuschreibungen in aktive Formen, z. B.: „Sie beschämen sich dann sehr“, als Reaktion auf „Ich hatte eine Schamattacke.“
Wenn Klient*innen erkennen, dass sie selbst Veränderungen bewirken können, entsteht Raum für tiefergehende therapeutische Arbeit und nachhaltige Heilung.
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